Offener Brief an die Alemannia

Vor gut einem Monat hatten wir ein angenehmes Gespräch mit dem Geschäftsführer von Alemannia Aachen, Alexander Mronz, unter anderem über das vom Verein ausgesprochene Verbot von Fahnen, die im Zusammenhang mit Stadionverboten stehen. In diesem Gespräch wurde uns zum ersten Mal die Möglichkeit geboten, unsere Sichtweise dieser Angelegenheit darzulegen, die wir auch gerne nutzten. Herr Mronz erkannte dabei an, dass diese Maßnahme in einem anderen Licht auch durchaus kritisch betrachtet werden kann und bat uns daher, diese Ansichten nochmals schriftlich festzuhalten, um es dem Präsidium von Alemannia Aachen vorlegen zu können. Zur besseren Transparenz und aufgrund der Tatsache, dass auch innerhalb der Fanszene teilweise eine falsche Auffassung darüber herrscht, mit welcher Absicht diese Fahnen aufgehängt wurden, sei dieses Schreiben nachfolgend aufgeführt:

(…)
Mit diesem Schreiben wollen wir nun als Gruppe dankbar die von Herrn Mronz gebotene Möglichkeit nutzen und die vorherrschenden Vorurteile, die genannten Fahnen würden begangene Gewalttaten verherrlichen und zu weiteren aufrufen, als Missverständnisse entlarven. Mit der Hoffnung, dass Sie Ihre bereits getroffene Entscheidung nochmals überdenken und durch die Anhörung aller Betroffenen zu einem fundierten Urteil gelangen, wählten wir folgende Worte.

Um die Intention zu verstehen, mit der Fahnen gestaltet werden, die zum einen eine gänzliche Abschaffung des Stadionverbots fordern und zum anderen an diejenigen erinnern, die von solch einem Stadionverbot betroffen sind, muss man die Bedeutung des Stadionverbots für die aktiven Fußballfans in Deutschland verstehen. Wahrscheinlich alle Ultragruppierungen dieses Landes würden bei einer entsprechenden Abstimmung für eine Abschaffung des Stadionverbots plädieren, aber nicht weil sie einen rechtsfreien Raum einfordern, sondern weil das Stadionverbot per se ein unausgereiftes Sanktionsmittel darstellt.

Bei einem Blick in §1 der DFB-Richtlinien wird sogar deutlich, dass es sich bei dem Stadionverbot per Definition gar nicht um eine Strafe, sondern vielmehr um eine Präventivmaßnahme handelt. An dieser Stelle lohnt sich die Frage, wie präventiv eine Maßnahme sein kann, die einen Jugendlichen aufgrund einer Verletzung der Stadionordnung aus seinem sozialen Umfeld herausreißt und ihn für die nächsten Jahre in die Obhut weiterer Stadionverbotler übergibt. Wesentlich effektiver wäre an dieser Stelle doch wohl die Verhängung von sozialen Arbeitsstunden oder pädagogischen Bewährungsauflagen, sodass der Betroffene in seiner gewohnten Umgebung integriert bleibt und bei seiner „Resozialisierung“ besser unterstützt werden kann. Doch dieser präventive Geist des Paragraphen 1 ist in der alltäglichen Praxis leider viel zu selten anzutreffen. Vielmehr werden hier die Stadionverbote mit der berühmten Gießkanne in der Regel völlig unterschiedslos vergeben und die auffällig gewordenen Fußballfans vor den Stadiontoren sich selbst überlassen. Diese Maßnahmen lassen vielmehr den Eindruck einer Bestrafung denn einer präventiven Maßnahme entstehen und so wird das Stadionverbot in der Regel auch empfunden.

Als Strafe ist das Stadionverbot aber in seiner Ungerechtig- und Unverhältnismäßigkeit kaum zu überbieten, was anhand einiger repräsentativer Aspekte nachfolgend gezeigt wird.

Das Strafmaß wird nicht nach der Bedeutung differenziert, die es für den Betroffenen hat. Es ist bei der Verurteilung also völlig irrelevant, ob der oder die Betroffene einen erneuten Stadionbesuch überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Einen Stadionbesucher, für den dieser Besuch eine Ausnahme darstellt, wird ein Verbot erheblich weniger treffen, als einen aktiven Fußballfan für den das Stadion den Mittelpunkt seines Lebens darstellt. Doch all dies wird bei der Festlegung des Strafmaßes vollständig ausgeklammert. Würde man die gleiche Logik beispielsweise bei der Erhebung von Steuern anwenden, wäre ein gleichhoher Steuerbetrag für alle Gehaltsklassen die Folge. Vielmehr noch muss wohl leider davon ausgegangen werden, dass das Urteil bei einem Angehörigen einer Ultragruppierung schwerwiegender ausfällt, als bei einem Familienvater aus dem Businessbereich.

Auch die Vergabe von kollektiven Stadionverboten ohne die Prüfung der Einzelfälle kann kaum als gerecht bewertet werden, da die Verurteilung von Unschuldigen nie ausgeschlossen werden kann. Als aktuelles Beispiel kann hier die Situation in Köln genannt werden, wo die gesamte Ultragruppe „Boyz“ aufgrund des Fehlverhaltens einiger Mitglieder aus dem Stadion verbannt wurde. Doch aufgrund des Fehlens einer Lobby für die Subkultur Ultrá und der kontinuierlichen öffentlichen Geißelung deren Angehöriger, werden solche Maßnahmen allgemein für sehr positiv befunden. Das führt dazu, dass ehemalige Mitglieder der „Boyz“ bestraft werden, obwohl sie seit Jahren nicht mehr in dieser Gruppe organisiert und dementsprechend genauso unschuldig sind wie diejenigen, die ihre Bestrafung für richtig befinden.

Einen weiteren fragwürdigen Aspekt stellt die Tatsache dar, dass Stadionverbote bereits ausgesprochen werden, sobald die Polizei damit beginnt, gegen die betroffene Person zu ermitteln. Im Anschluss daran besteht zwar die Möglichkeit der Anhörung, hier muss allerdings der Beweis der eigenen Unschuld selbstständig erbracht werden. Keine leichte Aufgabe wenn auf der anderen Seite polizeiliche Ermittlungen zu Buche stehen, zumal in Aachen ja bereits die vagen Vermutungen eines Polizeipräsidenten ausreichen, um eine ganze Ultragruppe zu verbieten. Dementsprechend kann einem also schon aus einer Vermutung heraus der Besuch eines Stadions verwehrt werden. Als Beispiel kann hier ein junges Ereignis aus unserer eigenen Szene dienen, bei dem einem Mitglied der Aachener Ultraszene aufgrund einer feigen Lüge für eine kurze Zeit das Betreten des Stadions untersagt wurde. In der Praxis kann zudem häufig beobachtet werden, dass diese Verbote auch nach der Einstellung des Verfahrens (also nach der bewiesenen Unschuld beziehungsweise nicht bewiesenen Schuld) nicht wieder aufgehoben werden. So wurden im Oktober des letzten Jahres 119 Stadionverbote gegen Schalke-Fans, trotz einer bereits erfolgten Einstellung der diesen Stadionverboten vorrausgegangen Strafverfahren, erst aufgehoben, als diese gegen den Verein Borussia Dortmund (von dem diese Verbote ausgesprochen wurden) mit einer einstweiligen Verfügung vorgegangen waren.

Einen weiteren Kritikpunkt stellt die Tatsache dar, dass das bundesweite Stadionverbot bei einem „schwerwiegendem Verstoß gegen die Stadionordnung“ ausgesprochen wird, was auf den ersten Blick so auch nachvollziehbar erscheint. Doch spätestens beim zweiten Blick sollte sich der aufmerksame Leser die Frage stellen, was genau eigentlich schwerwiegend ist. Dies zu beurteilen obliegt der Vereine oder der Polizei und ist dementsprechend völlig willkürlich.

Diese Liste der Ungerechtigkeiten kann wahrscheinlich endlos fortgeführt werden, da aber nicht der lückenlose Beweis für die Unzulänglichkeiten des Konzepts der Stadionverbote Gegenstand dieses Schreibens sein soll, belassen wir es bei diesen wichtigsten Aspekten. Uns geht es vielmehr darum, aufzuzeigen, dass auch einer ablehnenden Haltung gegenüber Stadionverboten eine gewisse Berechtigung innewohnt.
Einen weiteren Kritikpunkt neben der Ungerechtigkeit von Stadionverboten stellt die Unverhältnismäßigkeit dar. Zur Wahrung der Unschuldsvermutung für die Urheber des Stadionverbots gehen wir im Glauben an das Gute davon aus, dass diesen die Bedeutung eines Stadionverbots für die Allesfahrer unter den Fußballfans nicht bewusst war beziehungswiese ist. Letztlich ist es einem durchschnittlichen Mitglied unserer Gesellschaft auch nur schwer begreiflich zu machen, was es für einen aktiven Fußballfan bedeutet, nicht mehr ins Stadion zu dürfen. Den Versuch wollen wir hier dennoch wagen.

Das Stadion ist unser Leben! Es ist der Gedanke an das nächste Spiel, der uns durch den Alltag bringt, uns die nötige Kraft für das Durchstehen der alltäglichen Probleme schenkt und unserem Leben einen Sinn gibt. Hier können wir uns verwirklichen, neben unseren Freunden unserer Liebe zu Stadt und Verein Ausdruck verleihen und all die Sorgen, die das Leben für einen bereithält, wegbrüllen. Das Stadion stellt einen Fixpunkt in unserem Leben dar, hier treffen wir unsere Freunde, die aufgrund gemeinsamer intensiver Erlebnisse zu einer Art zweiter Familie werden, die manch einem den Halt geben, den er von seiner richtigen Familie nie bekommen hat. Wenn diesen Menschen all das für mehrere Jahre genommen wird, aufgrund von Vergehen für die das Bürgerliche Gesetzbuch lediglich Sozialstunden bereithält, kann nur schwerlich von einer Wahrung der Verhältnismäßigkeit gesprochen werden. Weiterhin kann diese Maßnahme auch kaum als präventiv bezeichnet werden, denn man muss kein Sozialarbeiter sein, um zu erkennen, dass dieser Weg mehr Probleme verursacht als er löst.

Wird eine Person nun aber tatsächlich aus seinem sozialen Umfeld, das seinen Lebensmittelpunkt darstellt, herausgerissen, bekommt man vor dem Hintergrund der vorherigen Worte hoffentlich eine Ahnung, wie groß der dadurch ausgelöste Schmerz sowohl der betroffenen Person als auch seiner Freunde sein muss. Und wenn nun diese Freunde die Leere neben sich im Block, die das Fernbleiben des Stadionverbotlers ausgelöst hat, mit dem Aufhängen einer „Stadionverbotler haltet durch“- Fahne zu kompensieren versuchen, um sich und ihren betroffenen Freunden Mut in dieser schweren Zeit zuzusprechen, dann ist dies alles, nur kein Aufruf zur Gewalt. Zur plastischen Veranschaulichung dieser unserer Gefühlswelt sei ein weiteres Beispiel bemüht.

Stellen wir uns beispielsweise folgende Situation einer Münchener Familie an Weihnachten vor. Der Vater, nennen wir ihn mal Uli, hat in großem Umfang Steuern hinterzogen und verbüßt dafür berechtigterweise eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Wenn seine Familie nun am Heiligen Abend auf seinen leeren Platz ein Bild von ihm platziert, dann tut sie dies weder, weil sie damit ihre Freude über die gelungene Steuerhinterziehung ausdrücken, noch weil sie ihren Vater und Ehemann zur Hinterziehung weiterer Steuern ermutigen wollen. Sie tun dies, weil das Fernbleiben ihres Vaters und Ehemanns an diesem Familienfest ein Loch in ihren Herzen verursacht hat, das sie durch dieses Bild wenigstens ansatzweise zu füllen versuchen. Und wenn sie diesen Moment fotografisch festhalten und Uli zur moralischen Unterstützung zukommen lassen, tun sie dies, weil ihre Aversion gegen Steuerhinterziehung nicht so stark ist wie die Liebe zu ihrem Vater und Ehemann. Addiert man zu diesem Beispiel die bereits geschilderte Tatsache, dass das Ausmaß der Bestrafung eines Stadionverbotlers in der Regel als nicht gerechtfertigt empfunden wird, lässt dies hoffentlich erahnen, was diese Fahnen für Stadionverbotler und ihre Freunde bedeuten.
Wir erwarten nicht, dass andere das nachvollziehen können, schon gar nicht erwarten wir, dass andere so empfinden, was wir lediglich erwarten, ist die Akzeptanz dafür, dass WIR so empfinden.

All diese Gedanken sind natürlich nur schwerlich auf ein stadionübliches Banner zu bekommen und münden daher zumeist in plakativen Worten wie „Gegen alle Stadionverbote“ und „Stadionverbotler haltet durch“. Einen Aufruf zur Gewalt sieht hierin nur, wer dies auch sehen will und dem die gelebte Fankultur nicht wichtig genug ist, um sich damit ehrlich auseinander zu setzen. Wir sind überzeugt davon, dass Sie an einer ehrlichen Lösung interessiert sind und hoffen, dass unsere Worte Ihnen dabei helfen konnten, die Sachlage in all ihren Facetten zu verstehen. Denn das Verständnis für alle beteiligten Parteien ist die Grundlage für ein gerechtes Urteil.

In der Hoffnung, dass Sie Ihre Entscheidung auf dieser Basis nochmals überdenken, verbleiben wir hochachtungsvoll

Yellow Connection 2014

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